Neues Deutschland, 09.09.05



Seuche Berufsverbot

Von Jochen Nagel



Steht uns die seuchenartige Wiederausbreitung der unsäglichen Berufsverbot-Praxis aus den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ins Haus? Dies muss ernsthaft befürchten, wer den aktuellen Fall im hessischen Heppenheim betrachtet. Erneut ausgebrochen in Baden-Württemberg, schwappt diese Seuche jetzt offenkundig nach Hessen rüber und zeigt, dass sie auch an föderalen Landesgrenzen nicht mehr Halt macht.

Im Gegensatz zu den meisten Seuchen lassen sich beim neuerlichen Aufleben der Berufsverbotspraxis die Verantwortlichen jedoch klar benennen. Da ist das Kultusministerium in Baden-Württemberg mit der Ministerin Schavan als »Seuchenherd« zu verorten, und in schwesterlicher Nachbarschaftshilfe hat Hessens Kultusministerin Karin Wolff die Tür geöffnet, um sie auch ins traditionell eher freiheitliche Hessen herein zu holen.

Dem Lehrer Michael Csaszkóczy soll die Berufsperspektive genommen werden, sogar eine gegebene Einstellungszusage wurde zurückgezogen. Keine Rolle spielte dabei, dass der Kollege bei einer schulbezogenen Ausschreibung an der Martin-Buber-Schule in Heppenheim als bester Bewerber ausgewählt worden ist, dass er gute Dienstzeugnisse und auch ein blütenweißes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen kann. Es hat auch niemanden interessiert, dass schon im September 2004 Frau Schavan im Landtag zugeben musste, dass keine Erkenntnisse darüber vorlägen, ob Csaszkóczy während seines Referendariats gegen Rechtsvorschriften verstoßen oder die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt habe.

Viele Jahre ist die Bundesrepublik ohne Berufsverbote ausgekommen. Wimmelt es deshalb inzwischen von Radikalen oder gar Terrorfreunden in deutschen Klassenzimmern? 1995 hat der Europäische Gerichtshof die Praxis der Berufsverbote verurteilt, weil der »Radikalenerlass« mit der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar ist. Dennoch gehen konservative Ministerinnen daran, erneut die Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit - wie z.B. die Unschuldsvermutung - außer Kraft zu setzen, indem den Betroffenen Verfassungsfeindlichkeit unterstellt wird, die diese dann selbst zu widerlegen haben. Alle demokratischen Parteien und die Gewerkschaften sind jetzt gefordert, frühzeitig diese drohende Seuche einzudämmen und ihre Stimme gegen die Wiederausbreitung von Berufsverboten zu erheben.



Unser Autor ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)