Neues Deutschland, 27.09.2005

Vor 55 Jahren: Der »Adenauer-Erlass«

Noch heute werden Berufsverbote erlassen, die auf die Verordnung aus den Fünfzigern zurückgehen



Von Martin Kröger



Seit zwei Jahren kann der Lehrer Michael Csaszkóczy seinen Beruf nicht ausüben. Grundlage dafür ist ein Erlass, der auf die Regierung des CDU-Bundeskanzlers Konrad Adenauers zurückgeht. In den 70er Jahren waren Millionen von der inzwischen erweiterten Verordnung betroffen.



Der Fall sorgte für bundesweites Aufsehen. »Ich hatte eine Stelle in: der Martin-Buber-Schule in Heppenheim«, erzählt Michael Csaszkóczy. Wenige Minuten vor der ersten Lehrerkonferenz Anfang September erhielt der Direktor der Schule einen Anruf aus dem hessischen Innenministerium. Die Anweisung: Der Direktor solle auf keinen Fall den Vertrag mit Csaszkóczy unterzeichnen, weil Zweifel an der Verfassungstreue des 35-jährigen Lehrers bestünden. Da bei einer solchen Einschätzung der Behörden die Beweispflicht bei den Beschuldigten liegt, läge es jetzt an Csaszkóczy den Gegenbeweis zu erbringen. Die Erfahrung, was dies bedeutet, hat der Realschullehrer bereits gemacht: Vor zwei Jahren wurde ihm in Baden-Württemberg ebenfalls verwehrt, Lehrer zu werden. Csaszkóczy musste zur »Prüfung der Gesinnung antreten«, wie er sagt. Dabei interessierte die Behörden vor allem, ob er Mitglied in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg sei. Die Prüfung bestand dann darin, erzählt Csaszkóczy, zu einem Papier dieser Gruppe Stellung zu beziehen. Zuvor hatte die Landesregierung den entsprechenden Paragrafen im Beamtenrecht geändert, nach dessen Neufassung nun der Verfassungsschutz maßgeblich für die Beurteilung eines Bewerber für den Staatsdienst zuständig ist.



Tradition in der Geschichte der Bundesrepublik

Dass Staatsbedienstete aufgrund ihrer politischen Gesinnung nicht in den öffentlichen Dienst übernommen werden, hat in der Geschichte der Bundesrepublik eine lange Tradition. Vor 55 Jahren, am 19. September 1950, erließ Konrad Adenauer den »Beschluss zur Verfassungstreue der öffentlich Bediensteten in der Bundesrepublik Deutschland«, der sich auf das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« der Nationalsozialisten bezog. Dreizehn Organisationen stufte die CDU-geführte Regierung als verfassungsfeindlich ein. Deren Mitgliedern wurde damals der Beamtenstatus aufgrund des Erlasses verwehrt. Obwohl die Verordnung auch auf die durch Altnazis geprägten Sozialistischen Reichspartei (SRP) angewandt wurde, zielte der umgangssprachlich »Adenauer-Erlass« genannte Beschluss in der Hauptsache gegen Kommunisten. Schon die Mitgliedschaft in der KPD oder in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (WN) reichte aus, um entlassen zu werden oder empfindliche Einbußen des Einkommens auferlegt zu bekommen. Mehrere Zehntausend Personen waren von der Maßnahme betroffen. »Dahinter steckte die Idee, dass Beamte in besonderer Weise die Meinung des Staates vertreten sollen und kein Recht auf Meinungsfreiheit haben«, erläutert Elke Steven vom Komitee für Grundrechte aus Köln.



Erweiterung zum »Radikalenerlass«

Der Höhepunkt der staatlichen Verfolgung kam jedoch in den siebziger Jahren im Zuge der Erweiterung des »Adenauer-Erlasses« zum »Radikalenerlass«, sagt Steven. Rund 3,5 Millionen Personen wurden überprüft, circa Zehntausend entlassen oder ihnen wurde der Eintritt in den öffentlichen Dienst verwehrt. Während das Bundesverfassungsgericht den »Radikalenerlass« 1975 billigte, wertete der Europäische Gerichtshof die Regelung als einen Verstoß gegen die Menschenrechte und verdonnerte die BRD im Fall einer Lehrerin 1995 zu Schadenersatz. Auch Michael Csaszkóczy, der Heidelberger Lehrer, hofft auf Rehabilitierung: 2007 soll sein Widerspruch vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt werden.