Südkurier 11.08.2004



Gesinnung auf dem Prüfstand Radikalen-Verdacht trifft Lehrer - Ministerium erwägt Anwendung eines alten Erlasses



Der Radikalenerlass von 1972, inzwischen nicht mehr angewendet, könnte schon bald reanimiert werden. Das Stuttgarter Kultusministerium prüft gegenwärtig, ob ein Lehramts-Bewerber tatsächlich auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

Heidelberg

VON JOHANNA HENKEL-WAIDHOFER

Heidelberg - Ein Realschullehrer aus Heidelberg wird möglicherweise demnächst ein Opfer jenes Radikalenerlasses von 1972, der seinerzeit zu Tausenden von Berufsverboten führte und seit vielen Jahren in der Bundesrepublik nicht mehr angewandt wird. Eigentlich hätte Michael Csaszkóczy nach Referendariat und Zweitem Staatsexamen mit der Note 1,8 zum 1.Februar dieses Jahres eine Stelle antreten sollen. Stattdessen prüft das baden-württembergische Kultusministerium seit Monaten, ob der Bewerber auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Zweifel daran begründen die Behörden unter anderem mit seiner Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wird der Pädagoge seit zwölf Jahrenvom Verfassungsschutz beobachtet.

GEW für Einstellung

Der Landesvorsitzende der GEW, Rainer Dahlem, bezeichnete es als "unerträglich und erschreckend, dass dieses undemokratische und diskriminierende Mittel aus den 70er Jahren jetzt in Baden-Württemberg wieder angewendet wird". Gerade in den Schulen würden Lehrkräfte gebraucht, die sich für demokratische Werte und Ideen einsetzten. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Csaszkóczy bei seiner bisherigen Lehrtätigkeit gegen die Pflicht zur politischen Neutralität verstoßen habe. Kultusministerin Annette Schavan (CDU) solle den Pädagogen unverzüglich einstellen, forderte Dahlem. Außer der GEW unterstützen den 34-Jährigen das Komitee für Grundrechte und Demokratie und ein Solidaritätskomitee, das inzwischen 500 Unterschriften gesammelt hat.

Der Radikalenerlass war seinerzeit von der SPD/FDP- Bundesregierung unter Willy Brandt erlassen worden, um vor allem Mitglieder und Sympathisanten der Deutschen Kommunistischen Partei(DKP) aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Nach heftigen Auseinandersetzungen verwarf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 die Berufsverbote als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Wenig später wurden auch in Baden-Württemberg, das zusammen mit Bayern am längsten an der Verbotspraxis festgehalten hatte, einige betroffene Lehrer nach jahrelanger anderweitiger Berufstätigkeit doch noch in den Schuldienst übernommen.