Stuttgarter Zeitung vom 10.08.2004

Verfassungstreue eines Realschullehrers wird angezweifelt


Kultusministerium prüft Anwendung des Radikalenerlasses – Gewerkschaft verlangt sofortige Einstellung in den Schuldienst


STUTTGART. Ein Heidelberger Realschullehrer bekommt möglicherweise keine Stelle, weil er Mitglied in der Antifaschistischen Initiative ist. Das wäre die erste Anwendung des Radikalenerlasses seit den 70er Jahren.


Von Renate Allgöwer


Für Michael Csaszkóczy hätte alles glatt laufen können. Der heute 34-Jährige studierte an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg Deutsch, Geschichte und Kunst. Er absolvierte anschließend sein

Referendariat an der Theodor-Heuss-Realschule und machte sein zweites Staatsexamen mit der Note 1,8. Zum 1. Februar hätte Csaszkóczy eine Stelle bekommen. Kurz vor Weihnachten hat der Lehramtsanwärter, der seit 1989 politisch aktiv ist, erfahren, dass das Kultus- und das Innenministerium Zweifel an seiner Verfassungstreue hätten und dass der Verfassungsschutz seit 13 Jahren Erkenntnisse gegen ihn sammelt, weil er Mitglied in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg ist. Damit droht ihm Berufsverbot auf der Grundlage des Radikalenerlasses. Er habe Demonstrationen gegen Naziaufmärsche organisiert und deutsche Kriegseinsätze kritisiert, sagt der Lehrer.


Das Oberschulamt Karlsruhe bat ihn im April zu einem "vertieften Einstellungsgespräch". Dabei wurde er nach seiner Mitgliedschaft bei der Initiative gefragt und ob er sich zu deren Grundsatzpapier bekenne. Csaszkóczy reichte eine differenzierte Stellungnahme nach. Im Nachhinein hat er den Eindruck, dass sein Fall nach dem "vertieften Einstellungsgespräch" klar war. Das Gremium habe "im Großen und Ganzen deutlich gemacht, dass die Mitgliedschaft ausreicht". Jetzt liegt der Fall im Kultusministerium. Das Verfahren läuft, es ist noch keine Entscheidung gefallen. Man werde die Sache sorgfältig prüfen und nicht im Hauruckverfahren durchziehen, erklärt ein Sprecher von Kultusministerin Annette Schavan (CDU).


Daran hat Csaszkóczy Zweifel. "Die Akte umfasst fünf Seiten und liegt seit Monaten im Ministerium", sagt er und erzählt, dass sich Annette Schavan im Kommunalwahlkampf der Heidelberger CDU bereits "sehr pointiert geäußert hat". Im Juni habe die Ministerin gesagt, Csaszkóczy sei über Jahre in einer Art und Weise in Erscheinung getreten, die bei der Mehrheit der Heidelberger auf Ablehnung stoße. Auch distanziere sich die Initiative nicht eindeutig von Gewalt.


Inzwischen hat sich ein Solidaritätskomitee formiert, das mehr als 500 Unterschriften gesammelt hat. Die GEW sieht in dem Verfahren einen Fall von Berufsverbot. Der GEW-Vorsitzende Rainer Dahlem sagte: "Es ist unerträglich und erschreckend, dass dieses undemokratische und diskriminierende Mittel jetzt wieder angewendet wird." Die GEW fordert die sofortige Einstellung des Lehrers. Die Heidelberger Landtagsabgeordnete Theresia Bauer (Grüne) fragt nach der Verhältnismäßigkeit in der Vorgehensweise.


Der Radikalenerlass wurde 1972 beschlossen. Er zielte vor allem auf Lehrer und Postbedienstete, die DKP-Mitglieder waren. Mehr als drei Millionen Menschen wurden überprüft, etwa 10 000 erhielten ein Berufsverbot. Seit 1979 wurde der Erlass nicht mehr angewendet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wertete den Erlass 1995 als Verstoß gegen das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit.