Süddeutsche Zeitung, 12.03.2007

Der Pädagoge als Staatsfeind



Ein Lehrer darf nicht unterrichten, weil er einer angeblich verfassungsfeindlichen Antifa-Gruppe angehört – nun kommt der Fall erneut vor Gericht

Gesetze und Gerichtsurteile haben ihre eigene sperrige Sprache, im Falle des Heidelberger Realschullehrers Michael Csaszkóczy fallen Begriffe wie Treuepflicht, Eignungsvoraussetzung und freiheitliche demokratische Grundordnung. Es läuft aber alles auf zwei Fragen hinaus, die man sehr schlicht formulieren kann: Darf so jemand wie Michael Csaszkóczy Beamter werden? Kann man ihn an einer Schule unterrichten lassen?

Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) hat seine Meinung dazu bereits gefasst: „Wir können ihm die Kinder nicht anvertrauen", sagte Rau vor einem Jahr, nachdem das Verwaltungsgericht Karlsruhe zu dem Ergebnis gelangt war, dem heute 36 Jahre alten Csaszkóczy fehle die nötige positive Einstellung zu Staat und Verfassung. So hatte es auch Raus Amtsvorgängerin Annette Schavan gesehen, die mittlerweile Bundesbildungsministerin ist. Gerade in den Schulen müsse sich die Demokratie als wehrhaft erweisen, sagte sie. Das sollte heißen: Ein Linksextremist hat in der Schule nichts zu suchen.

Seit Jahren geht das nun so. Michael Csaszkóczy hat in Heidelberg Geschichte und Deutsch auf Lehramt studiert, das Examen bestand er mit der Note 1,5. Er wurde Referendar, legte die zweite Prüfung ab (Note 2,0), es gab nie Beschwerden. Csaszkóczy beantragte seine Einstellung in den Schuldienst, doch daraus wurde nichts. Der baden-württembergische Verfassungsschutz teilte dem Schulamt mit, Csaszkóczy sei in der linksextremen Szene aktiv, im April 2004 musste er zum „vertieften Einstellungsgespräch" antreten und sich zu seiner Mitgliedschaft in der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg" erklären, die als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Seither verweigert ihm Baden-Württemberg die Einstellung, und auch ein Versuch, in einer hessischen Schule unterzukommen, scheiterte am Veto der Behörden.

Ein Beamter müsse sich von Gruppen distanzieren, die den Staat diffamieren, rechtfertigten die Verwaltungsrichter dieses Berufsverbot, wie Gewerkschafter es nennen. Dabei beriefen sich die Richter auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum berüchtigten Radikalenerlass, in dessen Folge in den siebziger und achtziger Jahren Millionen Beamte auf ihre Loyalität überprüft wurden und Tausenden Mitgliedern der Friedensbewegung und der DKP die Arbeit im öffentlichen Dienst verwehrt wurde. Diese Zeit scheint längst vorbei zu sein, eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt es nicht mehr. Doch die „Treuepflicht" besteht weiterhin: Beamter kann nur werden, wer „die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt", so steht es in den Gesetzen.

Csaszkóczy und seine Unterstützer, unter ihnen frühere Opfer des Radikalenerlasses, warnen vor Gesinnungsschnüffelei und staatlicher Einschüchterung. Am Dienstag werden sich nun die Richter des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim ein Bild von Csaszkóczy machen müssen. Auch wenn es Jahrzehnte dauern könnte, Csaszkóczys Anwalt Martin Henning will durch alle Instanzen gehen, notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der 1995 das Berufsverbot gegen eine niedersächsische Lehrerin, die zeitweise DKP-Mitglied war, verurteilte und ihr eine Entschädigung von mehr als 200 000 Mark zusprach.

Doch vor Gericht ist jeder Fall anders, und Csaszkóczy weiß, dass er einen Plan B für sein Leben braucht, einen Plan ohne Schule und Lehrergehalt. Am Beamtenstatus hängt sein Glück nicht, sagt er, Lehrer sei aber so etwas wie sein Traumjob. Eine Weile lebte er von Hartz IV, nun schreibt er eine Doktorarbeit („Jugendkulturen und Geschichtsbewusstsein") und erhält ein Stipendium der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.

Seit der eigenen Schülerzeit ist Csaszkóczy politisch aktiv, vor allem im Kampf gegen den Rechtsextremismus und den Abbau des Asylrechts. Widerstandskämpfer aus der Nazi-Zeit wie die mittlerweile verstorbene Sophie Berlinghof wurden ihm zum Vorbild; er besuchte ihre „Antifaschistischen Stadtrundgänge", die das beschauliche Heidelberg in anderem Licht zeigten. Sie führten an die Orte grausamer Verbrechen und erinnerten an den riskanten Widerstand.

Heute bietet Csaszkóczy selbst solche Rundgänge an. Er hat an Dokumentationen über die NS-Zeit mitgeschrieben, er ist auf die Straße gegangen, als Neonazis in Rostock und Hoyerswerda Asylbewerber attackierten. Csaszkóczy braucht keine Extra-Einladung, um sich zum Aufstand der Anständigen zu erheben. Er stellt sich der NPD in den Weg, obwohl er „fürchterliche Angst" habe vor körperlichen Auseinandersetzungen und mit Sicherheit kein prügelsüchtiger Straßenkämpfer ist. Man könnte es auch so sagen: Dieser junge Mann, der zig Ringe am Ohr und schwarze Klamotten trägt, sieht etwas wild aus, gibt aber ein Beispiel für Zivilcourage. Er ist ein streitbarer, aufrechter Demokrat. Ein Mensch, der wie viele andere, ob in der SPD, der Union oder in den Kirchen, mit dem Kapitalismus hadert. Sogar das Verwaltungsgericht hat Csaszkóczy als „engagierten Streiter gegen Rechts und für friedliche Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht" gewürdigt. Das war der Moment, als sich Csaszkóczy endgültig fragte: Was mache ich hier eigentlich?

Csaszkóczy, dessen Vater 1956 aus Ungarn floh, ist nicht vorbestraft, er hat auch nie Schüler zu indoktrinieren versucht, jedenfalls gibt es niemanden, der dies behauptet. Es gibt keine von ihm persönlich verfassten Schriften, in denen er das Grundgesetz verächtlich macht oder zu Gewalt aufruft. Und doch gilt er als Staatsfeind. Der Verfassungsschutz hat die Heidelberger Antifa-Gruppe seit Jahren im Visier, über Csaszkóczy ist genau Buch geführt worden. Die Liste, die das Stuttgarter Innenministerium im Februar 2004 zusammenstellte, ist allerdings geradezu grotesk harmlos: Da wird protokolliert, an welchen Demos Csaszkóczy teilgenommen hat, zum Beispiel im März 2003 gegen den Irak-Krieg. Man dachte, es bestehe Versammlungsfreiheit. Verfassungsschützer wollen aber etwas zu tun haben, und sie notieren die Schritte eines Mannes wie Csaszkóczy, da kann er noch so friedlich von einem Grundrecht Gebrauch machen. Das Problem ist: die Antifa spuckt mitunter große Töne, da ist dann von „Militanz" als Mittel der Befreiung die Rede. Die Behörden verlangten, Csaszkóczy solle sich von solchen Sätzen distanzieren. Der aber sagt, natürlich könne Militanz ein Mittel der Befreiung sein, und hat dabei mutige Widerstandskämpfer wie Sophie Berlinghof im Sinn. Militanz sei auch nicht gleichbedeutend mit Gewalt. Er selbst habe Gewalt gegen Personen und Sachen stets abgelehnt.

Den Behörden ist dies zu vage, sie pochen auf ein glühendes Bekenntnis zum Staat. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält es dagegen für unverantwortlich, jemanden nur wegen eines „diffus formulierten Risikos" vom Staatsdienst fernzuhalten. Die Zeit der Berufsverbote müsse endlich vorbei sein, sagt der baden-württembergische GEW-Chef Rainer Dahlem: „Wir brauchen Lehrer mit Rückgrat und Zivilcourage."

Es ist schon vorgekommen, dass ein Lehrer seiner Klasse etwas über Zivilcourage beibringen wollte und sie zum Antifaschistischen Rundgang in Heidelberg anmeldete. Die Tour leitete ein freundlicher junger Mann mit vielen Ringen am Ohr. Ein Mann, dem der Staat nicht über den Weg traut.

TANJEV SCHULTZ