Tagesspiegel, 22.10.2004


Eine Frage der Einstellung


Das erste Berufsverbot seit Jahren – warum Michael Csaszkóczy nicht Lehrer werden soll


Von Meike Kirsch

Als lautstarker Wortführer der linken Szene gilt er, einigen sogar als Staatsfeind. Michael Csaszkóczy spricht leise an diesem Morgen. So leise, dass sich seine Stimme im Fauchen der Espressomaschine verliert. Den Schottenrock, mit dem der 34-Jährige gerne durch die Straßen läuft, hat er heute nicht an. Stattdessen krabbeln spinnenartige Tiere über sein T-Shirt. Während er fast schüchtern erzählt, weshalb sie ihn als Lehrer für Deutsch, Kunst und Geschichte in Baden-Württemberg nicht haben wollen, kann man die Ringe in seinem linken Ohr zählen: Es sind 17. Doch es geht nicht um Äußerlichkeiten in der Auseinandersetzung zwischen Csaszkóczy und Annette Schavan, der Kultusministerin von Baden-Württemberg. Es geht um Csaszkóczys Einstellung zum Staat, um Zweifel an seiner Verfassungstreue.


Schavan hat gegen Csaszkóczy – der beide Staatsexamen mit guten und sehr guten Noten abgelegt hat und unter Kollegen und Schülern als beliebt galt – das erste Berufsverbot seit elf Jahren verhängt: Er darf nicht Lehrer werden. Gegen die Entscheidung wollen am Samstag in Heidelberg rund 60 Gruppierungen auf die Straße gehen, unter ihnen die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und verschiedene Orts- und Kreisverbände des DGB.


Seit 1992 sammelt der Verfassungsschutz Daten über Csaszkóczy: Er läuft bei Demonstrationen gegen Mietwucher, für Frieden, gegen Abschiebung, für den Erhalt des Autonomen Zentrums, gegen Nazis mit – und organisiert diese auch selbst. Er gründete vor fünf Jahren die Antifaschistische Initiative Heidelberg mit, eine Gruppe von „AnarchistInnen, KommunistInnen, SozialistInnen und Autonomen“, die sich als „linksradikal“ bezeichnet. Csaszkóczy war oft ihr Sprecher.


Das wusste die Kommission des Karlsruher Oberschulamtes, die Csaszkóczy zu einem „vertieften Einstellungsgespräch“ bat. Die Beamten erkundigten sich nach seinen Erfahrungen mit Klassenfahrten, erst spät kam die entscheidende Frage: „Distanzieren Sie sich von der Antifaschistischen Initiative, ja oder nein?“ 105 Minuten dauerte der Gewissens-Tüv. Am Ende war Csaszkóczy durchgefallen, vor allem wegen zwei Sätzen in einer Art Grundsatzpapier der Heidelberger Antifaschisten: „Militanz, die sich durch (…) konsequente Abwägung und ein hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet, betrachten wir als legitimes Mittel im Kampf um Befreiung“, heißt es da. Und: An „den herrschenden Unterdrückungsverhältnissen“ werde sich auf parlamentarischem Weg „nichts Grundlegendes ändern“ lassen.


Nach der Befragung durfte Csaszkóczy noch einmal schriftlich präzisieren, dass er unter Militanz nicht Gewalt gegen Menschen und Sachen versteht – auch wurde noch nie gegen ihn ermittelt wegen strafbarer oder gar gewalttätiger Handlungen. Das hat Csaszkóczy aber nichts genutzt. Warum ist er den Erwartungen seiner Gesinnungsprüfer nicht gleich ein bisschen mehr entgegengekommen, er könnte schon jetzt im Klassenzimmer sitzen? „Duckmäusertum ist nicht“, sagt Csaszkóczy. „Wenn man mir Steine in den Weg legt, stachelt das meinen Kampfgeist an.“ Der Ablehnungsbescheid des Kultusministeriums lag Ende August im Briefkasten, unterschrieben von Annette Schavan. „Demokratie muss sich gerade an Schulen als wehrhaft erweisen“, schrieb die Ministerin, „um Kinder und Jugendliche vor extremistischer Beeinflussung zu schützen.“


Berufsverbot. Als Willy Brandt Kanzler war, verabschiedete die sozialliberale Bundesregierung 1972 den „Erlass zur Beschäftigung von Radikalen im öffentlichen Dienst“. Er führte zu mehr als drei Millionen Regelanfragen beim Verfassungsschutz, über 10000 Berufsverbotsverfahren, rund 1500 Ablehnungen von Lehrern, Straßenbahnfahrern und Postboten – und zu einem vergifteten Klima in Deutschland. Vor allem Mitglieder der DKP und andere Linke wurden aussortiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Berufsverbot verurteilt, weil es die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit verletze.


Warum greift Schavan nun auf die Praxis der 70er Jahre zurück? Geht es ihr darum, ein Exempel zu statuieren mit bundesweiter Wirkung? In Berlin beispielsweise regt sich Unverständnis. „Ich sehe nicht, dass das Instrument der Berufsverbote wieder im Kommen ist“, sagt Claudia Schmid, Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, die ohnehin jegliche Regelüberprüfung beim Verfassungsschutz ablehnt – „weil dann die Menschen unter Generalverdacht gestellt werden“.


Csaszkóczy findet es in erster Linie peinlich, dass ihm eine Demokratie den Mund verbieten will. Er hat Widerspruch eingelegt, will vor Gericht ziehen. Es geht ihm dabei nicht nur ums Prinzip, es geht auch um sein eigenes Leben. Bis das Urteil gefällt ist, lebt er von Sozialhilfe.