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Heidelberger Aktivist in der Schusslinie des Verfassungsschutzes
Le Berufsverbot est retourne (11.02.2004)

Als im September 1995 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg die bundesdeutsche Praxis, politisch missliebige Menschen vom
öffentlichen Dienst auszuschließen, als mit den Artikeln 10 und 11 der
Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar rügte, hofften viele,
es habe jetzt mit dem Berufsverbot ein Ende. Angefangen hatte der Spuk
1972 mit dem berüchtigten "Radikalenerlass", der zu seinen Hochzeiten
schon PostbotInnen die Mitgliedschaft in der DKP als mit ihren Pflichten
unvereinbar definierte. In einem immer repressiver werdenden Klima, in
dem dem Grundrecht auf Eigentum alle anderen immer weiter untergeordnet
werden, scheint nun aber auch das bereits totgeglaubte Berufsverbot wie
in einem schlechten Romero-Film seine hässlichen Klauen erneut aus der
Erde zu stoßen.

Scheint? Nun, es ist zwar noch kein Urteil gesprochen, aber der
Heidelberger Realschullehrer M., der, wie das Oberschulamt
zwischenzeitlich bestätigt hat, eigentlich zur Übernahme in den
Schuldienst zum 1.2. vorgesehen war, wartet immer noch auf seine Stelle,
weil, so das Amt, Zweifel an seiner, M.s, Verfassungtreue bestünden und
das Landesamt für Verfassungsschutz noch einschlägige Tatsachen
beibrächte -- de facto ein kleines, kaltes Berufsverbot, vielleicht in
der Hoffnung, dem Betreffenden möge bis zur nächsten
Einstellungsmöglichkeit die Geduld oder das Geld ausgehen und er könne
das Interesse am Schuldienst so "verlieren".

Eine gewisse Pefidie darf den Agierenden wohl unterstellt werden, denn
erste Zweifel an der Liebe des Realschullehrers zur
Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung gesteht das Oberschulamt schon
für den Sommer 2003 ein. Dennoch ließ man sich dort bis Mitte Dezember
Zeit mit der Zustellung eines Schreibens, in dem der Bewerber zu einem
"vertieften Einstellungsgespräch" geladen wurde, in dem insbesondere die
"Mitgliedschaft[en] in Parteien oder Gruppierungen" Thema sein sollten.
Genau dieses Gespräch wurde dann kurz vor Weihnachten zunächst ohne
Begründung abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben, da noch eine
förmliche Anfrage beim Verfassungsschutz laufe.

Das Verfahren, dem sich M. derzeit unterziehen muss, ist an sich nichts
Neues -- zwischen 1972 und 1990 wurden in der BRD 3.5 Millionen Anfragen
an diverse Staatsorgane in Sachen Radikalenerlass gestellt, die in über
13000 Berufsverbots- und Disziplinarverfahren mündeten, die wiederum
1250 BewerberInnen ihre Einstellung und 265 öffentlich Beschäftigten den
Job kosteten, und das auch noch nach einer harschen Kritik dieser Praxis
durch die ILO im Jahr 1987. Diese Maschinerie beeindruckte unsere
westlichen Nachbarn so nachhaltig, dass der Germanizismus "Berufsverbot"
Eingang fand in die von der Academie Francaise so wohl gehütete Sprache
von Liberte, Fraternite und Egalite.

Seit 1990 war nicht mehr viel zu hören vom Radikalenerlass --
Berufsverbote trafen, wenn überhaupt, allenfalls ehemalige
Stasi-Schergen und anderes Service-Personal des untergegangen Regimes
(so es denn nicht schnell genug in neue Dienste trat). Bis heute. Eine
Rückkehr auch eines "harten" Berufsverbots würde in eine Zeit passen, in
der unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus und
Kinderpornografie ein historisch einmaliges Überwachungssystem --
angefangen von "Black Boxes", die den Netzwerkverkehr auch am Ausgang
vom URZ ins DFN mitscheiden über eskalierende Telefonüberwachung,
Lauschangriffe und Zugangskontrolle bis hin zu Biometrie und genetic
fingerprinting -- aufgebaut wird und gleichzeitig der Staat immer
weitgehendere Ansprüche auf die Gedanken seiner BürgerInnen und
DienerInnen (etwa in der Kopftuchfrage insbesondere der -innen) geltend
macht.

Extra pikant an der Sache ist noch, dass derzeit keine Regelanfrage der
Schulämter vorgesehen ist, also keineswegs die Vergangenheit und
Gegenwart aller BewerberInnen für den öffentlichen Dienst automatisch
durchleuchtet wird. Ob da vielleicht der Verfassungsschutz von sich aus
aktiv geworden ist? Wenn, dann wäre es um so bedenklicher, dass die
Vorwürfe, die bisher durchgesickert sind, eigentlich nur urdemokratische
Angelegenheiten betreffen: M. habe einen Naziaufmarsch verhindert und
sei bei Gedenkfeierlichkeiten für die Lechleitner-Gruppe, die während
des zweiten Weltkriegs in Mannheim im Widerstand gegen das Naziregime
aktiv war, aufgetreten.

Derweil wartet M. immer noch auf sein "vertieftes Vorstellungsgespräch".

Disclaimer: Dieser Artikel ist nicht als Warnung vor der Ausübung der
Grundrechte und der Liebe zur Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung
zu lesen.