DIE ZEIT


 37/2004 (2.9.2004)


 Zu links für das Lehramt

 Deutschland hat wieder ein Berufsverbot

 Von Frank Drieschner

 Schwarze Zeiten werfen einen Schatten voraus: Deutschland hat wieder ein
 Berufsverbot. Ein Linker darf nicht Lehrer werden, weil er ein Linker
 ist, so verfügt Ende vergangener Woche von Annette Schavan,
 Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg. Die prominenteste
 Schulpolitikerin jener Partei, die in zwei Jahren mit einiger
 Wahrscheinlichkeit auch in Berlin regieren dürfte, hat ein Zeichen
 gesetzt: In Fragen der Auseinandersetzung mit politisch Andersdenkenden
 liegt die Zukunft des Landes in den achtziger Jahren.

 Vordergründig geht es um einen Heidelberger Autonomen, einen der letzten
 Angehörigen der versprengten und längst völlig bedeutungslosen
 linksradikalen Szene. Ein Einzelfall also, ein harmloser Anachronismus?
 Wohl kaum - denn der Ministerin geht es offensichtlich ums Prinzip.
 Weder gefährdet im Jahr 2004 ein einzelner Radikaler im Staatsdienst die
 Demokratie, noch gilt es, Schüler vor Indoktrination zu schützen, denn
 derlei wird diesem Lehrer nicht vorgeworfen. Nein, die Frage ist allein,
 ob vage Zweifel an der Verfassungstreue eines Beamten schwerer wiegen
 als das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Darauf hat Annette Schavan
 jetzt eine beunruhigende Antwort gegeben.

 Berufsverbot im Jahr 2004: Wer ist das Opfer?

 Michael Csaszkóczy, 34 Jahre alt, parteilos, lässt sich wahrscheinlich
 am besten als Autonomenhäuptling charakterisieren: kein heimlicher
 Staatsunterwanderer, sondern ein lautstarker Wortführer der linken
 Szene. Und offenbar ein guter Lehrer für Deutsch, Geschichte und Kunst
 mit guten und sehr guten Noten in beiden Staatsexamen. Schüler
 schwärmen, und auch eine Kollegin lobt seinen Unterricht, freilich erst
 nach der Zusage, sie mit dieser brisanten Auskunft keinesfalls zu zitieren.

 Strafbare Handlungen, Gewalttaten gar, werden Csaszkóczy nicht
 vorgeworfen. Es ist die Mitgliedschaft in einer politischen
 Organisation, die Annette Schavan ihm anlastet: Seine ?Antifaschistische
 Initiative Heidelberg? stelle sich gegen die freiheitlich-demokratische
 Grundordnung - ein erstaunliches Urteil. Die Gruppe ist eine Mischung
 aus Heimatgeschichtsgruppe, Bürgerwehr und - was die Überwachung
 vermeintlich rechtsextremistischer Studentenverbindungen betrifft -
 einer Art alternativem Verfassungsschutz. Nach Auskunft eines
 Heidelberger Polizeiinsiders hat sie sich zudem gewisse Verdienste dabei
 erworben, die Entstehung einer militanten Neonaziszene in der Stadt zu
 verhindern. Dies Engagement geht freilich einher mit der nebulösen
 Rhetorik der autonomen Szene - ein Geschwurbel von ?strukturellen
 Unterdrückungsverhältnissen? und deren Überwindung ?im Hier und Jetzt?,
 das wohl mehr der Selbststilisierung als der politischen
 Auseinandersetzung dient und schon mangels Verständlichkeit kaum
 verfassungsfeindlich sein dürfte.

 Verfassungsfeindlich: Was das bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht
 in mehreren Urteilen definiert. Wer sich nicht gegen Menschenrechte,
 Volkssouveränität und Gewaltenteilung engagiert, keine Probleme mit der
 Entscheidungsgewalt gewählter Regierungen, gerichtlich überprüfbarem
 Verwaltungshandeln und richterlicher Unabhängigkeit hat und im Übrigen
 das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit der politischen
 Parteien richtig findet - dessen Überzeugungen sind demnach
 staatlicherseits nicht zu beanstanden.

 Michael Csaszkóczys Überzeugungen sind dennoch seit mindestens zwölf
 Jahren nicht mehr seine Privatsache - so weit reicht ein Dossier des
 Verfassungsschutzes zurück, das Vergehen wie Demonstrationen gegen
 Neonazis oder Mitarbeit an einer Broschüre über eine Widerstandsgruppe
 während des Zweiten Weltkriegs auflistet. Wenn daran etwas
 verfassungswidrig ist, dann der Umstand, dass eine Behörde solche
 Informationen über einen rechtstreuen Bürger zusammengetragen und über
 Jahre hinweg gespeichert hat.

 Die Datensammelwut ist insofern verständlich, als es heute, anders als
 noch vor zwanzig Jahren, nicht mehr viele echte Linksradikale gibt, die
 der Verfassungsschutz überwachen könnte. Dieser Umstand lässt freilich
 das aktuelle Verfahren umso abwegiger erscheinen. Denn 1995 hat der
 Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutsche Praxis der
 Berufsverbote in einem konkreten Fall verurteilt: Sie verletze die
 Meinungs- und Vereinigungsfreiheit - und sie sei überdies
 unverhältnismäßig. Wenn aber schon ein Berufsverbot aus dem Jahr 1982
 gegen ein Mitglied der zweifellos verfassungsfeindlichen DKP im
 Rückblick als unverhältnismäßig erscheint, um wie viel mehr muss das im
 Jahr 2004 im Fall eines einzelnen Radikalen zutreffen?

 Umso erstaunlicher, dass eine Kultusministerin nun wieder zu den
 Methoden der achtziger Jahre greift. Die symbolische Bedeutung dieser
 Entscheidung ist kaum zu überschätzen. Berufsverbot - das war viele
 Jahre lang der Albtraum der Linken und Liberalen, aber auch Konservative
 könnten heute wissen, wie sehr diese Praxis damals weite Teile einer
 Generation dem Staat entfremdet hat. Der Radikalenerlass ?vergiftete das
 innere Klima und läutete ein Jahrzehnt der Proteste, Demonstrationen,
 politischen Erklärungen und gerichtlichen Entscheidungen ein?, schreibt
 der amerikanische Historiker Gerard Braunthal in der wohl umfassendsten
 Darstellung des Themas.

 Der Kampf, so scheint es nun, geht weiter. Nach 20 Jahren ohne
 Berufsverbote ist die Einstellung eines Lehrers jetzt wieder eine Frage
 seiner Einstellung - kein gutes Vorzeichen für ein Land, das in nicht
 allzu ferner Zukunft von Konservativen regiert werden könnte.