Köln, Berlin, den 17. Mai 2004

Komitee für Grundrechte
und Demokratie
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Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr


Frau Ministerin
Dr. Annette Schavan
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport
Baden-Württemberg
Schlossplatz 4

70173 Stuttgart

"Offener Brief"

Betr.: „Fall“ des Realschullehrers Michael Csaszkoczy

Sehr geehrte Frau Schavan!
Bevor wir es nicht schwarz auf weiß sahen, wollten wir es nicht glauben.
Obwohl in vielen öffentlichen und privaten Bereichen sogenannte
Sicherheitsüberprüfungen stattfinden, nahmen wir an, all die
Überprüfungen und Aktionen, die seit Januar 1972 und dem "Hamburger
Erlass" der seinerzeitigen Ministerpräsidenten und des damaligen
Bundeskanzlers Willy Brandt als "Berufsverbot" bezeichnet worden sind,
gehörten einer glücklich überwundenen, tatsächlich vergangenen
Vergangenheit an.
Nun aber werden wir mit dem "Fall" des Realschullehrers Michael
Csaszkoczy konfrontiert. Herr Csaszkoczy, schon Realschullehrer, soll
keine Lehrerposition im Umfeld von Heidelberg erhalten. Mit einem
Schreiben vom 15.12.2003 wurde ihm vom Oberschulamt Karlsruhe
mitgeteilt, das Innenministerium habe gegen seine Einstellung
interveniert. Zweifel bestünden daran, dass er jederzeit Gewähr biete,
für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Der
Verfassungsschutz habe mehr als 10 Jahre Informationen gesammelt, die
Zweifel an seiner Verfassungstreue begründeten. In der Zwischenzeit ist
Herr Csaszkoczy von einer Kommission angehört worden. Gemäß all unseren
Informationen hat diese Anhörung nur eine bekannte und von Herrn
Csaszkoczy nicht bestrittene Information bestätigt, dass er Mitglied der
Antifaschistischen Initiative Heidelbergs ist. In dieser
verfassungskonformen, also gemäß Art. 9 GG nicht verbotenen Initiative ist
Herr Csaszkoczy unter anderem gegen ausländerfeindliche und
neonazistische Bestrebungen aktiv geworden. Nach all unseren, genau
überprüften Informationen stellen der innenministerielle Einspruch, die
verfassungsschützerisch gesammelten und weitergegebenen "Erkenntnisse",
der Aufschub der selbstverständlichen Einstellung von Herrn Csaszkoczy,
die Anhörung über die verfassungsschützerischen "Erkenntnisse", die
Behandlung seiner Einstellung außerhalb des üblichen, sachrationalen
Instanzenwegs als "Chefsache" der Kultusminsterin und, mit Verlaub
gesagt, Ihr Zögern, ihn einzustellen, eine Folge von Skandalen dar. Wir
ersuchen Sie dringend aus dieser Folge kleiner, aber schon mit
erheblichem Schaden verbundener Ärgernisse, nicht einen
Verfassungsskandal werden zu lassen. Derselbe ginge nicht nur zu Ihren
Lasten. Derselbe schadete vor allem dem hohen Amt, dem Sie vorstehen,
und der hohen Aufgabe, die dieses Amt, die Kultusbehörde, um der
Verfassung willen erfüllen soll und muss. Aufgabe ist es, die Schulen
personell und sachlich so einzurichten, dass Schülerinnen und Schüler zu
allererst zu kompetenten und engagierten Bürgerinnen und Bürgern werden
können. Diese Ziele lassen sich aber allenfalls dann erreichen, wenn
Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf und ihre Berufung in den Schulen
ausüben, die ihrerseits, über ihre sachlich fachliche Kompetenz hinaus,
das vorzuleben wissen, wozu sie die Schülerinnen und Schüler
grundgesetz- und an erster Stelle grund- und menschenrechtsgemäß
erziehen sollen.

Um unsere starken Wertungen zu begründen, wollen wir uns kurz selbst
vorstellen und Ihnen danach die Reihe der Skandale knapp erläutern, die
zu einem Verfassungsskandal zu machen, also einem Ärgernis wider die
Verfassung und dies höchst ministeriell, Sie in Gefahr sind.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, seit einem
Vierteljahrhundert tätig, ist nicht zuletzt gegen Ende der fast
10jährigen Periode der sog. Berufsverbote gegründet worden. Ohne
irgendwelchen parteilichen Gruppierungen anzugehören, ist das Komitee
allein Partei eines unverwässerten, eines jeder Bürgerin und jedem
Bürger geltenden Verständnisses von Grundrechten und Demokratie. So,
fest gegründet auf dem Boden einer unverkürzten grund-,
menschenrechtlichen und demokratischen Verfassung, äußern wir uns zu den
Skandalen, die im "Fall" Csaszkoczy, genauer im Fall des
baden-württembergischen Innen- und Kultusministeriums schon passiert
sind und mit einer negativen Entscheidung ihrerseits vollends zum
allgemeinen Ärgernis zu werden drohen.

1. Wie immer die Berufsverbote seinerzeit begründet worden sind, alle
der Verfassung einigermaßen Kundigen im Inland und Ausland "der Ruf der
Bundesrepublik wurde seinerzeit beträchtlich lädiert" sind darüber
einig, dass diese regierungsamtliche Maßnahme in jeder Hinsicht
unverhältnismäßig gewesen ist.
- Unverhältnismäßig war das Berufsverbot, weil die präventiv-präemptive
Überprüfung der Verfassungstreue, die zuerst im Bereich der
Einstellungen in den öffentlichen Dienst, vor allem der Lehrerberufe
galt, sich dann jedoch in private Organisationen und auf Beamte
allgemein ausdehnte, wie ein normativer Bumerang gewirkt hat. Statt die
lebendige Verfassung zu kräftigen, hat es sie erheblich, mit Folgen bis
heute, geschwächt. Der angebliche „Verfassungsschutz“ untergrub die
Verfassung. Das ist die schlimmste denkbarer Unverhältnismäßigkeiten.
Die normierende Kraft der Verfassung wurde mit einem strikt ungeeigneten
angeblichen Schutzmittel außer Kraft gesetzt. Auf bloßen Verdacht wurde
in die Grundrechte von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern
eingegriffen mit dem täuschenden Ziel, diese schützen zu wollen.
- Unverhältnismäßig war das Berufsverbot, weil es ohne aktuelle Gefahr
und Not zentrale Grundrechte wie Art. 2 GG (Recht auf Unversehrtheit),
Art. 5 GG (Meinungsfreiheit), Art. 8 und 9 GG (Versammlungs- und
Vereinigungsfreiheit), Art. 12 GG (Freiheit der Berufswahl)
beeinträchtigte und verkehrte, ja, weil das Berufsverbotsverfahren
selbst den Eckstein aller Grundrechte antastete: Art.1 Satz 1 GG: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie wurde durch die
Berufsverboteverfahren angetastet. Meinungen wurden nur im engen
Spektrum der vom Kalten Krieg massiv eingeschränkten Freiheit geduldet.
Schon die Mitgliedschaft oder die Aktivitäten in einem nicht verbotenen
Verein oder einer nicht verbotenen Partei konnten im Sinne der
Kontaktschuld zu negativen Bescheiden führen.
- Unverhältnismäßßig waren die Verfahren, weil millionenfache
Überprüfungen nicht nur zu wenigen tatsächlichen Einstellungsverboten
oder Entlassungen führten, sondern auch unter den Entlassenen bzw.
Nicht-Eingestellten nicht eine der Bundesrepublik Deutschland
gefährliche Person entdeckt oder abgewehrt worden ist.
- Unverhältnismäßig war der riesige, durch ausgebaute
Verfassungsschutzämter betriebene Schnüffel-und
Bürgerüberwachungsapparat. Die lebendige Verfassung stellten nicht
aktive Bürgerinnen und Bürger dar, die den Kern der Verfassung bilden.
Art. 20 Abs.1 Satz 1 GG: "Alle Gewalt geht vom Volke aus. "Vielmehr
repräsentierten im Grauen und Geheimen wirksame Ämter die" reale
Verfassung.
Damit wurde die Verfassung des Grundgesetzes im negativen Sinne
verdoppelt und entbürgerlicht.- Unverhältnismäßig schließlich war um
die längere Folge der Unverhältnismäßigkeiten abzubrechen, dass das
Beamtenrecht wie es in Art 33 GG allgemein normiert wird, nicht
grundgesetzgemäß bis hin zur Gewährbieteklausel (Art.33 Abs.2 GG)
ausgelegt worden ist. Art. 33 GG wurde vielmehr entgegen der Verfassung
des Grundgesetzes, die die Bundesrepublik radikal und qualitativ von der
Nicht-verfassung des NS-Staates abhob, über die allgemeinen Grund- und
Menschenrechte erhoben und nach einem Beamtenbild verfahren, das
vorgrundrechtlich und vordemokratisch im Spätabsolutismus gemalt worden war.

2. Aus diesen und anderen Gründen haben Bund und alle Länder dem
unsäglichen, grundgesetzwidrigen Berufsverbot Anfang der 80er Jahre des
letzten Jahrhunderts jedenfalls offiziell ein Ende gesetzt. Das, was
jetzt im Rahmen des "Falles" Csaszkoczys kund wird, zeigt jedoch, dass
die Beendigung des rundum unverhältnis-mäßigen und kontraproduktiven
Berufsverbotsverfahrens entweder in manchen Ländern nur dem Scheine nach
vollzogen worden ist oder aber jetzt unter anderen Zeichen erneuert wird.
- Schon dass das Innenministerium beim Kultusministerium gegen die
Einstellung eines kompetenten und unbescholtenen Lehrers interveniert,
ist verfassungsungehörig. Das hat nichts mit nötiger Amtshilfe zu tun.
Dass sich das Innenministerium auf sog. Erkenntnisse des Landesamts für
Verfassungsschutz beruft, ist der zweite Skandal. Was hat der
Verfassungsschutz im Falle von Vereinen und ihren Mitgliedern zu suchen,
schnüffelnd, sammelnd, speichernd, ohne den betroffenen Bürger zu
informieren, weitergebend, wenn dieser Bürger sich nichts anders zu
schulden hat kommen lassen, als politisch aktiv zu sein.
Was von solchen "Erkenntnissen" zu halten ist, hat letztes Jahr das
Urteil des Bundes-verfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren deutlich
gemacht. Die geradezu verhängnisvolle Rolle der Verfassungsschutzämter
im Umkreis dieses Verfahrens zeigt allenfalls eins, dass diese Ämter
neo-nationalistisch nahezu blind sind, jedoch Gruppen und Personen
aufspüren, die die Grund- und Menschenrechte wörtlich nehmen.
- Schlechterdings nicht akzeptabel ist dann die sog. Anhörung, die dazu
ohne zureichenden rechtlichen Rahmen, grundrechtlich ausgewiesenen,
geschieht.
- Gleiches gälte verstärkt, würde eine Entscheidung aufgrund von
Kontaktschuld und einer haltlosen Prognose getroffen, die über die
Gewähr spekuliert, die ein unbescholtener Bürger als lehrender Beamter
irgendwann bieten mag.
Wir kommen auf den Anfang unseres länglichen Schreibens zurück. Wir
ersuchen Sie, sehr geehrte Frau Schavan, in aller Form, Ihrem eigenen
Amtseid gemäß, Schaden von dem Land abzuwehren, dem Sie als
Kultusministerin dienen. Vor allem aber dürfen Sie den Grund- und
Menschenrechten der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Schüler
und auch ihrer Eltern keinen Schaden zufügen, die in Ihre ministerielle
Obhut gegeben sind.
Wir schließen unseren Brief ohne Drohung. Das entspräche nicht unserem
Stil. Wir vermuten, dass Sie richtig, grundrechtsgemäß verfahren und
Herrn Csaszkoczys einstellen. Wir hoffen das sehr. Sonst wären wir
gezwungen, alles in unserer geringen Macht stehende zu tun, um den
Grundrechten von Herrn Csaszkoczy und damit auch der Verfassung des
Landes Baden-Württemberg genüge zu tun.
Hochachtungsvoll
(Wolf-Dieter Narr, für den Vorstand
des Komitee für Grundrechte und Demokratie)