Auszüge aus der Klageschrift

 

Heidelberg, 08.08.2008

 

 

Namens und im Auftrag des Klägers erhebe ich Klage und beantrage,

 

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Schadens­ersatz in Höhe von 109.986,83 € zu zahlen und ihm für 43 Monate Versorgungsanwartschaften eines Realschullehrers gutzuschreiben.

 

 

Begründung:

 

Der Kläger ist seit dem September 2007 als Realschullehrer im Dienst des Beklagten. Schon im Schuljahr 2003/2004 hätte er zum zweiten Halbjahr, nach Absolvierung der Referendarzeit. unter Anrechnung einer Wartezeit und unter Berücksichtigung seiner — guten bis sehr guten — Zeugnisse, in den Schuldienst eingestellt werden müssen.

 

Entsprechend sind ihm Gehaltszahlungen für 43 Monate (Februar 2004 bis August 2007) und die Gutschrift entsprechender Versorgungsanwartschaften vorenthalten worden, die mit dieser Klage geltend gemacht werden.

 

Die frühere Einstellung des Klägers scheiterte daran, dass der Beklagte zu Unrecht behauptete, der Kläger, der sich seit vielen Jahren offen und öffentlich politisch 'links' engagiert hatte, biete nicht die für den öffentlichen Dienst erforderliche Gewähr der Verfassungstreue gemäß Art. 33 GG, § 6 LBG Ba-Wü. Dabei wurden ihm u.a. so 'absurde' Dinge vorgeworfen wie die Teilnahme an einer Demonstration „Gegen den Irak-Krieg'' am 20.03.2003 in Heidelberg. an einer Gegenaktion anlässlich eines Aufmarsches der rechtsextremistischen ,.Karlsruhe Kameradschaft” am 15.06.2002 in Karlsruhe und die Mitautorenschaft bei einer Broschüre über die Geschichte der Mannheimer Lechleiter-Widerstandsgruppe (im Dritten Reich). Insgesamt wurden ihm 20 Vorgänge über einen Zeitraum von 11 Jahren zum Vorwurf gemacht. die sich der Beklagte schon im Juli 2003 in datenschutzwidriger Weise vom Landesamt für Verfassungsschutz hatte auflisten lassen.

 

Gegen den Nichteinstellungsbescheid war der Kläger mit einer Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim (VGH) erfolgreich, nachdem das Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG) noch in erster Instanz die negative Entscheidung des Beklagten bestätigt hatte. Der VGH hob den Bescheid auf und verurteilte den Beklagten, neu zu entscheiden, weil er die Ermessensentscheidung, die grundsätzlich der Dienstherr zu treffen hat, nicht selbst treffen konnte. In der Sache selbst hat er in seinem Urteil unter anderem formuliert:

 

Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle hat sich - was das Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren nicht hinreichend beachtet hat - darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat.

 

Der Senat vermag schon nicht festzustellen, dass der Beklagte seiner Entscheidung einen zutreffenden und vollständigen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat.

 

Der Beklagte ist in mehrfacher Hinsicht von einem unzutreffenden beziehungsweise unvollständigen Sachverhalt ausgegangen und hat außer acht gelassen, dass er das Vorbringen des Klägers als zutreffend unterstellt hat.

 

Der Beklagte hat bei seiner ablehnenden Entscheidung das Verhalten des Klägers während des Vorbereitungsdienstes nicht hinreichend ermittelt oder jedenfalls hei seiner Abwägung nicht gewürdigt. Er hat damit einen für seine Prognose grundsätzlich besonders bedeutsamen Zeitabschnitt außer acht gelassen und ist insoweit von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen.

 

Der Beklagte hat auch nicht berücksichtigt, dass seit den letzten dem Kläger angelasteten Aktivitäten bei Erlass des Widerspruchsbescheids nahezu ein Jahr verstrichen war, was für die Prognose über künftiges verfassungstreues Verhalten ihre Aussagekraft, falls sie inzwischen keine Fortsetzung durch gleichgerichtete Aktivitäten gefunden hatten, bereits minderte. Hinzu kommt, dass es sich bei sämtlichen jüngeren Aktivitäten, insbesondere denjenigen nach der Absolvierung des Vorbereitungs­dienstes, um Verhaltensweisen handelt, denen der Beklagte im Hinblick auf die von ihm anzustellende Prognose schon deshalb kein maßgebendes Gewicht beimessen durfte, weil sie sich zumindest auch auf mit der Verfassungsordnung vereinbare Ziele bezogen und auch in der Art der Durchführung ersichtlich von der Verfassung gedeckt waren (Beispiel: Eintreten gegen den Irak-Krieg).

 

Hier sind auch die grundrechtlichen Anforderungen des Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG zu berücksichtigen, die es gebieten, dass eine Äußerung unter Einbeziehung ihres Kontextes ausgelegt und ihr kein Sinn zugeschrieben wird, den sie objektiv nicht haben kann. Bei mehrdeutigen Äußerungen ist es erforderlich, sich im Bewusstsein der Mehrdeutigkeit mit den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen und für die gefundene Lösung nachvollziehbar Gründe anzugeben.

 

Der Beklagte hat nach alledem eine neue, selbständige, malgebend auf die Person des Klägers bezogene Abwägung auf der Grundlage des derzeitigen Gesamtbildes vorzunehmen, bei der auch dem jüngeren Verhalten ein höheres Gewicht zukommt. Dabei wird der Beklagte auch zu berücksichtigen haben, dass der Kläger im Jahre 2004 wegen seines Engagements in der offenen Kultur- und Jugendarbeit zur Verleihung der Bürgerplakette der Stadt Heidelberg vorgeschlagen war und die Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg diesem Vorschlag zugestimmt hatte.

 

(...)

 

Der VGH hat damit nicht nur die behördliche Entscheidung als rechtswidrig aufgehoben, sondern er hat dafür mehrere grundlegende und handwerkliche Fehler der Behörde aufgelistet, wobei er die Kriterien für die Fehlerhaftigkeit durchgängig immer schon früheren höchstgerichtlichen Entscheidungen (BverfG und BVerwG) entnommen hat – was schon der Beklagte hätte machen können und müssen.

 

Er hat zudem formuliert, was auf jeden Fall bei der neuen Entscheidung der Behörde zu berücksichtigen sei und damit eine für den Kläger positive Entscheidung praktisch v o r g e s c h r i e b e n (siehe u.a. oben den letzten Absatz der Zitate). Dem hat der Beklagte dann auch mit der nachfolgenden Einstellung des Klägers Rechnung getragen.

 

Schließlich hat er dem VG sozusagen denselben Fehler bescheinigt (siehe oben den ersten Absatz der Zitate). Es habe seine Aufgabe verkannt. Das VG hat, das ergibt eine sorgfältige Lektüre der Urteilsgründe, der Schulbehörde nicht die wesentlichen Kriterien und den Rahmen für seine Entscheidung aufgezeigt. sondern eine eigene Prognose zur künftigen Verfassungstreue des Klägers abgegeben. Dies hat der VGH (höflicherweise) so nicht formuliert, er hat aber in seinem früheren Beschluss, mit dem die Berufung des Klägers erst zugelassen worden war, festgestellt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestünden.

 

Die Entscheidung des Beklagten, den Kläger nicht einzustellen, war mithin rechtswidrig. Dabei wurde auch schuldhaft, mindestens fahrlässig gehandelt, denn der Beklagte hat grundlegende Voraussetzungen und Kriterien für seine Entscheidung außer Acht gelassen. Er kann sich vorliegend auch nicht auf die sogenannte Kollegialgerichtsrichtlinie berufen, wonach in der Regel ein Verschulden der Behörde jedenfalls zu verneinen ist, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht (unrichtigerweise) die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung bejaht hat.

 

Grundsätzlich ist dies hier zwar möglich, denn das VG (mit drei Rechtskundigen besetzt) hatte die Entscheidung des Beklagten zunächst gebilligt. Aber von diesem Grundsatz gelten Ausnahmen, z. B. wenn das Kollegialgericht den Sachverhalt in entscheidenden Punkten nicht erschöpfend gewürdigt hat, was oben bereits unter Verweis auf das Urteil des VGH bereits dargelegt wurde.

 

Beschäftigt man sich vertieft mit der Bedeutung und Sinn und Zweck dieser Richtlinie, so ergibt sich ergänzend folgendes:

 

PALANDT, BGB, 66. Aufl., § 839, Rz 53, erörtert die prinzipiell gültige sogenannte Kollegialgerichtsrichtlinie unter Hinweis auf BGHZ 97, 97 und führt weiter aus, dass Ausnahmen möglich sind (a.a.O. m.w.N.). Mit einer Ausnahme von diesem Prinzip beschäftigt sich der BGH in NVwZ-RR 2000, 746(748). Über einen Fall, in dem der Grundsatz zur Anwendung kam (BGH in NJW 1970, 1699(1701) gelangt man zu der Entscheidung des BGH in NJW 1962, 793(794), in der formuliert wird:

 

"Diese Rechtsprechung (Anmerkung: zur Kollegialgerichtsrichtlinie) beruht auf der Erwägung, dass von einem Beamten, der im Drange der Geschäfte handeln muss, keine bessere Rechtseinsicht als diejenige erwartet werden kann, die ein Kollegial­gericht nach sorgfältiger Prüfung des von beiden Seiten vorgetragenen Für und Wider gewonnen hat. Eine Rechtfertigung für die Anwendung dieser Regel fehlt aber, wenn es sich - wie hier - um grundsätzliche Maßnahmen zentraler Dienststellen handelt, die ihre Entscheidung in ruhiger Abwägung aller Gesichtspunkte unter Benutzung allen einschlägigen Materials treffen können, die also wie ein Gericht sach- und rechtskundig das Für und Wider in Ruhe abwägen können, insbesondere wenn sie dabei ein Spezialgesetz handhaben, dessen Bestimmungen ihnen aus täglicher Anwendung besonders vertraut sind."

 

Dies trifft hier uneingeschränkt zu. Auf der einen Seite ist aus der Sachakte des Beklagten erkennbar, dass höchste Beamte im Kultusministerium an der Entscheidung beteiligt waren, dass an dem vertieften Einstellungsgespräch mit dem Kläger im Jahre 2004 im Oberschulamt unter anderem der Vizepräsident des Amtes als Volljurist teilgenommen hat und dass auch der Leitende Regierungsdirektor Brandner als Sachbearbeiter dieser Angelegenheit Volljurist ist, der die Sache und den Beklagten auch vor den Verwaltungsgerichten vertreten hat (§ 67 Abs. 1 S. 3 VwGO). Damit sind schon auf der unteren Ebene mindestens zwei Amtsträger beteiligt gewesen, die ihrerseits die Befähigung zum Richteramt besaßen. Auf der anderen Seite hat sich der Beklagte für seine Entscheidung etwa acht Monate Zeit genommen, bis zum Widerspruchsbescheid sogar etwa elf (rechnet man die 'heimliche' Vorlaufzeit hinzu, also die Zeit, in der schon Kontakte zum Verfassungsschutz bestanden, sogar 12 bzw. 16 Monate).

 

(...)

 

Weiterhin ging es hier für die Behörde auch im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung um die Handhabung eines Spezialgesetzes, da der Beklagte das Landesbeamten­gesetz in Verbindung mit Artikel 33 GG angewendet hat, eine Materie, für die er speziell und auch gerade er zuständig ist. Und schließlich hat im vorliegenden Fall das Kollegialgericht gerade nicht "nach sorgfältiger Prüfung" entschieden, was sich wiederum aus der Entscheidung und den Entscheidungsgründen des VGH ablesen lässt.

 

Der Beklagte kann sich mithin für die erheblichen Fehler, die der VGH beim behördlichen Handeln festgestellt hat, nicht 'exkulpieren'. Damit liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, aus der sich entsprechend der mit dieser Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch ableitet.

 

Heiming

Rechtsanwalt