7.1.2015: Verzicht auf das in-camera-Verfahren?

Der vorsitzende Richter im Verfahren gegen das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg erklärt, dass ihm die vorliegenden geschwärzten Dokumente ausreichen, um in der Hauptsache des Verfahrens -- umfängliche Auskunft an den Betroffenen und Einstellung der Überwachung -- entscheiden zu können. Er legt daher den Prozessparteien die Rücknahme des Antrages auf ein in-camera-Verfahren (das auf eine Aufhebung der Schwärzungen an sich zielt) nahe.

Auszüge aus dem Schreiben:

  1. Der Richter fasst den Ablauf des Verfahrens zusammen und konstatiert:

    Das Landesamt für Verfassungsschutz hat - auf Grundlage einer Sperrerklärung des Innenministeriums nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO - zum vorliegenden Streitgegenstand eine Verfahrensakte bestehend aus den Aktenseiten 1 bis 483 (bis zum Stichtag 04.02.2013) vorgelegt. Dieser Aktenbestand enthält teilweise Schwärzung. Teile der Akten werden im Hinblick auf die Sperrerklärung überhaupt nicht vorgelegt. Das Landesamt für Verfassungsschutz trägt in diesem Zusammenhang sinngemäß vor, bei den Aktenseiten 1 bis 483 handele es sich - bezogen auf die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers - um die gesamte Verfahrensakte. Diese sei aus den dem Landesverfassungsschutz vorliegenden Sachakten zu Personenzusammenschlüssen (hier: Rote Hilfe e. V. und Antifaschistische Initiative Heidelberg) zusammengestellt worden, soweit sie die Aktivitäten des Klägers im Rahmen dieser Zusammenschlüsse beträfen. Personenakten - etwa betreffend den Kläger - würden beim Landesverfassungsschutz nicht geführt. Der Kläger hingegen vertritt die Auffassung, dass der Landesverfassungsschutz große Teile der ihn betreffenden Akten - unabhängig von der Frage, ob es sich um Teile einer Personalakte oder Auszüge aus Sachakten handele - bislang dem Gericht vorenthalten habe.

    Dazu tritt dann noch die Weigerung des LfV, über die Zeit vor der letzten "Auskunft" 2006 etwas zu sagen, grob weil der Betroffene damals Widerspruch gegen die Auskunftsverweigerung hätte einlegen müssen, damit diese keine "Bestandskraft" erlangt.

    Es folgt dann diese kleine Anmerkung, die nach Wahl Auskunft über Sorgfalt oder Engagement des LfV gibt:

    Auf Grundlage dieser (meiner) zusammenqefassten Sachverhaltsdarstellung bitte ich die Beteiligten um Mitteilung, ob von mir die wesentlichen Streitpunkte im Kern erfasst wurden: In diesem Zusammenhang habe ich auch festgestellt, dass das Landesamt in seiner Klageerwiderung vom 27.05.2014 auf Seite 6 auf die Anlagen B 1 und B 2 verweist. Diese Anlagen liegen mir bislang nicht vor. Es handelt sich wohl um das erstmalige Auskunftsersuchen des Klägers vom 06.03.2002 und den entsprechenden Auskunftsbescheid des Landesamts vom 13.05.2002, den der Kläger wohl nicht angefochten hat. Insoweit bitte ich um Nachreichunq der entsprechenden Aktenvorgänge.

  2. Ausgehend vom bisherigen Streitstand dürfte der Landesverfassungsschutz nach meiner vorläufigen Auffassung jedenfalls eine gewisse Tatsachengrundlage geschaffen haben, um den vom Kläger geltend gemachten Auskunftsanspruch und insbesondere seinen Löschungsanspruch überprüfen zu können. [...] Abgesehen von der noch vorzunehmenden Überprüfung der Sperrerklärung des beklagten Landes dürften aber die Rechtsstandpunkte zum bisher vorliegenden Material ausreichend ausgetauscht sein. Insbesondere bei der Frage, ob das Landesamt für Verfassungsschutz sich für die Zeit vor dem Jahr 2006 auf eine zusammengefasste Bewertung der den Kläger betreffenden Erkenntnisse beschränken durfte, dürfte es sich um eine Rechtsfrage handeln, die im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung zu beantworten sein wird. Gleiches gilt für die sich in diesem Zusammenhang stellende weitere Frage, ob das Landesamt für diesen Zeitraum in ausreichendem Umfang Aktenvorgänge zur Verfügung gestellt hat. Schließlich hat das Landesamt im Rahmen seiner konkreten Auskunftserteilung ab dem Jahr 2006 insgesamt 23 Ereignisse (Ausgangs-und Widerspruchsbescheid) aufgeführt, die den Kläger betreffen und die nach Auffassung des Landesamts die Speicherung seiner Daten rechtfertigen.

    Der Richter räumt dann noch die Notwendigkeit ein, nach der Überprüfung der Sperrerklärung "abschließend" zu den "Beobachtungsobjekten", Rote Hilfe und AIHD,vorzutragen.

  3. Nach § 189 VwGO hat das VG die Frage der Verweigerung einer vollständigen Auskunft an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abzugeben. Das wird der Richter tun -- im Groben muss das dann überlegen, ob die es die übrigen Akten überhaupt noch braucht, um entscheiden zu können, ob der Betroffenen bespitzelt werden darf:

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 24.11.2003 - 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229) soll die in § 99 Abs. 1 VwGO geregelte Verpflichtung der Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften sicherstellen, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt so umfassend wie möglich aufgeklärt wird und dass alle Verfahrensbeteiligten von entscheidungserheblichen Vorgängen Kenntnis erlangen, um diese zur Grundlage ihres Vorbringens in dem Rechtsstreit machen zu können. Diese Zweckbestimmung beschränkt die Vorlagepflicht von vornherein auf solche Akten und Urkunden, deren Inhalt der umfassenden Sachaufklärung durch das Gericht der Hauptsache und der Gewinnung von Grundlagen für die Prozessführung der Beteiligten überhaupt dienlich sein kann. Deshalb muss das Gericht der Hauptsache - wenn sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Urkunden oder Akten beruft - grundsätzlich zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. In diesem Fall stellen schlichte Abgabeverfügungen des Vorsitzenden oder die bloße Aktenbeiziehung mittels richterlicher Verfügung keine den Vorgaben des § 99 Abs. 1 S. 2 genügende Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit dar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.02.2008 - 20 F 13.07 - juris, Rd.Nr. 5). Eine solche förmliche Verlautbarung der aus der maßgeblichen Sicht des Gerichts der Hauptsache - hier des Verwaltungsgerichts Karlsruhe - bestehenden Entscheidungserheblichkeit ist aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn diese offensichtlich ist. Dies gilt z. B., wenn die Pflicht zur Vorlage der Akten Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ist (vgl. nochmals BVerwG, Beschl. v. 24.11.2003, aaO). Ebenfalls als zweifelsfrei entscheidungserheblich werden Akten angesehen, wenn es im Prozess darum geht, ob Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde eine darauf gestützte Ablehnung der Einbürgerung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.03.2009 - 20 F 9.08 - juris).

    Ausgehend von diesem Maßstab dürfte zwischen den Beteiligten außer Streit stehen, dass die vom Landesamt für Verfassungsschutz mit Schriftsatz vom 30.10.2013 vorgelegte Verfahrensakte (Aktenseiten 1 bis 483), die von diesem als vollständig bezeichnet werden, jedenfalls für das streitgegenständliche Verfahren entscheidungserheblich sind. Die Beteiligten streiten insoweit nicht über die Entscheidungserheblichkeit dieser Aktenseiten, sondern allein darüber, ob ein Teil dieser Akten geheimhaltungsbedürftig ist oder nicht. Danach sehe ich in einem irgendwie gearteten Beweisbeschluss keinen Sinn, ich beabsichtige vielmehr die mir vom Landesamt vorgelegte Akte (S. 1 - 483) dem zuständigen Senat des Verwaltungsgerichtshofs zur Überprüfung vorzulegen.

    Wenn so also eine Entscheidung rasch möglich ist, ist das Verfahren in Sachen Sperrerklärung nicht mehr dringen:

  4. Abschließend rege ich noch an, dass die Beteiligten den vorliegenden Rechtsstreit nach Abgabe der vom beklagten Land für geheimhaltungsbedürftig erklärten Akten an den Verwaltungsgerichtshof durch übereinstimmende Erklärung zum Ruhen bringen. Im Hinblick darauf, dass ich eine rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in dem Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO überhaupt nicht absehen kann, wären entsprechende Prozesserklärungen der Beteiligten für mich hilfreich.

    Die Prozessparteien stimmen diesem Vorgehen im Folgenden zu.